Pisa-Studie:
Wie Deutschland wieder rechnen lernt
Seit nunmehr 20 Jahren gibt es die Pisa Studie.
Und in keinem Jahr haben die Schülerinnen und Schüler schlechter abgeschnitten als bei der letzten Durchführung 2023.
War Deutschland früher ein Land der Techniker und Tüftler, ziehen nun immer mehr Länder an uns vorbei.
Was läuft schief in Deutschland?
In fünf Jahren sind die Schülerinnen und Schüler von den Leistungen her um ein ganzes Schuljahr zurückgefallen.
Können wir es uns so einfach machen und sagen, Corona war schuld oder sollten wir den Blick einmal genauer darauf richten, was genau in der Schule und im Unterricht gemacht wird?
Wie steht es um die Qualität im Unterricht?
Viele Schülerinnen und Schüler haben Rechenschwierigkeiten. Diese müssten sie aber nicht haben.
Unter anderem sind genau zwei Ursachen daran schuld, dass so viele Kinder in Deutschland Rechenschwierigkeiten haben.
Ursache 1: Der Fokus liegt auf dem Ergebnis
In einer Klasse mit bis zu 28 Kindern ist es schwierig, den Lernfortschritt jedes einzelnen Kindes zu beachten. Die Schülerinnen und Schüler müssen viel allein arbeiten. Wenn es gut läuft, werden sich diese Ergebnisse von der Lehrkraft auch angeschaut.
Doch genau hier liegt das Problem. Richten wir ausschließlich den Fokus auf das Ergebnis, verstehen wir nicht, wie ein Kind zum Ergebnis hingekommen ist.
Und genau hier ist ein entscheidendes Problem. Denn wir können so nicht identifizieren, ob ein Kind einen falschen Rechenweg benutzt hat und eine falsche Vorgehensweise verinnerlicht hat.
Schauen wir dazu auf die Schulanfänger.
In der 1. Klasse lernen die Kinder Plus- und Minusaufgaben im Zahlenraum bis 20.
Nehmen wir als Beispiel die Aufgabe 8 + 7. Viele Kinder gelangen hier zum richtigen Ergebnis 15. Doch das ist gar nicht relevant. Viel interessanter ist es, wie das Kind zu diesem Ergebnis hingekommen ist.
Leider nutzen hier viele Kinder das Vorgehen, welches sie im Kindergarten kennengelernt haben - nämlich das zählende Rechnen. So nehmen sie ihre Finger und zählen von der acht weiter bis zur 15. Aber genau das wollen wir in der Schule nicht.
In der Schule müssen die Schülerinnen und Schüler systematisch Rechenstrategien lernen, mit denen sie Aufgaben strategisch lösen können. In unserer Beispielaufgaben 8+7 wäre es die Strategie der verliebten Zahlen oder die Strategie des Verdoppelns. Doch leider geben sich Erwachsene viel zu häufig mit dem richtigen Ergebnis zufrieden und schauen nicht darauf, wie das Kind zu diesem Ergebnis hingekommen ist.
Das hat gravierende Auswirkungen, die sich bereits in der 2. Klasse zeigen. Denn Kinder, die nach der zählend vorgehen, werden an Aufgaben wie zum Beispiel 38+47 gänzlich scheitern.
Viel wichtiger also als auf das Ergebnis zu schauen, ist zu verstehen, wie das Kind zum Ergebnis hingekommen ist. Das können wir mit der Impulsfrage „Wie hast du die Aufgabe gerechnet?“ herausfinden.
Als Lehrerin bzw. Lehrer kann ich darauf achten, den Kindern systematisch die Rechenstrategien mitzugeben, mit denen sich die Schülerinnen und Schüler vom zählenden Rechnen lösen können.
Ursache 2: Alle im Gleichschritt
Genau das ist häufig die Realität im Klassenzimmer. Doch das widerspricht gänzlich der individuellen Lernentwicklung eines jeden einzelnen Menschen.
Werfen wir einen kleinen Blick in die Vergangenheit eines Kindes, als es laufen gelernt hat. Im Ratgeber heißt es, dass ein Kind im Durchschnitt mit 12 Monaten das Laufen lernt.
Wir haben unserem Kind vertraut, dass es das Laufen lernen wird. Wir haben unser Kind unterstützt und begleitet und es durch unsere Mimik und Gestik motiviert, es immer und immer wieder zu probieren.
Sollte unser Kind mit 14 Monaten noch nicht laufen können, werden wir das mit dem Laufen nicht seinlassen und es stattdessen mit dem Schwimmen oder Springen probieren.
Jedes Kind entwickelt sich im eigenen Tempo und das ist gut so.
Schauen wir uns einmal an, wie genau wir das schaffen.Leider gerät das, sobald ein Kind in die Schule kommt, komplett in den Hintergrund. Es wird ein neues Thema eingeführt, geübt, mit einem Test überprüft und ob es das Kind nun verstanden hat oder nicht, es geht mit dem nächsten Thema weiter.
Genau das ist ein großes Problem. Denn Kinder lernen unterschiedlich schnell. Manche Kinder brauchen ein bisschen länger, manche Kinder langweilen sich vielleicht auch schon.
Doch so kommt ein Kind nie in den Lernflow. Der Lernflow ist dann vorhanden, wenn die Aufgabe weder zu leicht noch zu schwer ist. Genau dann macht das Lernen Spaß und ein Kind kann in kurzer Zeit große Lernfortschritte erzielen.
Doch leider können Kinder in der Schule viel zu selten im Lernflow arbeiten. Das führt dazu, dass das Lernen entweder langweilig ist oder die Wissenslücken immer größer werden.
Wir müssen in der Schule den Kindern die Zeit geben, die sie brauchen. Wir müssen uns von der Erwartungshaltung verabschieden, dass zum Beispiel alle Kinder am Ende der 2. Klasse perfekt sämtliche Geteiltaufgaben lösen können. Vielmehr sollten wir den Fokus darauflegen, dass die Kinder, wenn sie die Grundschule verlassen, die wesentlichen Basiskompetenzen im Rechnen erlangt haben. Das ist leider bei viel zu vielen Kindern nicht der Fall.
Was können wir für eine bessere Qualität im Unterricht tun?
Es muss im Unterricht mehr Wert auf die Grundaufgaben und deren Automatisierung gelegt werden. Kinder haben zu oft das Gefühl es gibt unendlich viele Aufgaben und kämpfen sich mühsam durch jede einzelne.
Doch eigentlich gibt es eine Handvoll Strategien, die ein Kind verstanden haben muss, um sie systematisch auf alle möglichen Aufgaben anzuwenden.
Genau diese Strategien müssen wir den Kindern an die Hand geben und ihnen dabei helfen, diese systematisch auf die verschiedenen Aufgaben anzuwenden.
Die Grundaufgaben müssen regelmäßig im Unterricht gefestigt werden. Doch dabei sollten wir die Ursache Nr. 1 nicht vernachlässigen. Es bringt nichts, wenn die Lehrkraft allen Kindern zu Beginn jeder Mathestunde 20 Malaufgaben stellt, wenn klar ist, dass die Hälfte der Kinder nicht mal sicher die Minusaufgaben im Zahlenraum bis 20 lösen kann.
Stattdessen geben wir den Kindern entsprechend dem individuellen Lernniveau, genau die Grundaufgaben zum Trainieren, die es von der Lernentwicklung her gerade braucht. So können Kinder Leichtigkeit spüren und sehen, dass sie aus eigener Anstrengung heraus immer besser werden.
Und dabei sollten wir die Maßnahme Nr. 3 unbedingt beachten.
Kinder werden regelmäßig von vielen Arbeitsblättern überflutet und das ist ein großes Problem. Denn Arbeitsblätter sind nicht kindgerecht. Wenn Erwachsene sich ein Arbeitsblatt anschauen, haben sie einen analytischen Blick. Sie finden schnell heraus, was genau zu tun ist.
Kinder haben diesen analytischen Blick nicht. Sie springen vielmehr auf einem Arbeitsblatt oder in einer Seite im Arbeitsheft von einer Information zu anderen hin und her. Es ist für ein Kind unheimlich schwer zu identifizieren, was es auf so einer Seite machen soll. Bei jeder einzelnen Aufgabe muss sich das Kind dieser Aufgabe neu anpassen.
Häufig gerät das eigentliche Thema, was gelernt werden soll, in den Hintergrund. Das beste Arbeitsblatt ist ein weißes Arbeitsblatt, bei dem ein Kind entsprechend seinen individuellen Voraussetzungen genau das üben kann, was es zu dem jeweiligen Zeitpunkt gerade braucht. Also zum Beispiel der Arbeitsauftrag: „Schreibe Aufgaben mit dem Ergebnis 20 auf.“. So können wir das Kind da abholen, wo es steht.
Sind sich Lehrkräfte im Unterricht dieser Ursachen bewusst und beachten diese Maßnahmen, können sie den Schülerinnen und Schülern das Lernen und den Zugang zur Mathematik deutlich erleichtern.